Verzeihen. Ein grosses Wort.

Vergeben und vergessen? Verzeihen oder nicht verzeihen? Verzeihbar oder Unverzeihbar? Das sind die Fragen.

Kürzlich wurde ich während einer Diskussion auf 3sat zu diesem Thema auf eine Buchautorin aufmerksam, deren Buch mir sehr interessant erschien. Und das ist es auch! In einer Buchbeschreibung las ich:

„Heißt verzeihen verstehen? Heißt verzeihen lieben? Heißt verzeihen vergessen? Unter diese drei Leitfragen stellt Svenja Flaßpöhler ihre philosophische Spurensuche im Reich der Schuld und der Rache, der eiskalten Amokläufe und monströsen Abgründe des Bösen, der Beichten, Wahrheitskommissionen, Amnestien – und der Sehnsucht, nach erlittenem Unrecht nicht länger zum Opfer zu werden. Verzeihen als Akt der Selbsterlösung.“ ( http://www.deutschlandradiokultur.de/svenja-flasspoehler-verzeihen-vom-umgang-mit-schuld-der.950.de.html?dram:article_id=349637 )

„Verzeihen: Vom Umgang mit Schuld“ von Svenja Flaßpöhler.

Sie schreibt:
„Dieses Buch ist der Versuch, das Verzeihen zu verstehen und auszuloten bis an seine Grenzen. Wer verzeiht handelt weder gerecht noch ökonomisch, noch logisch. Verzeihen bedeutet dem Wort nach: Verzicht auf Vergeltung. Verzicht auf Wiedergutmachung. Der Verzeihende fordert nicht, was ihm eigentlich zusteht. Er lässt ab, entsagt, hört auf zu „zeihen“, das heisst zu benennen, bekannt zu machen. Das ewige Zeigen auf die Wunde, das Bezichtigen eines Anderen, findet mit dem Verzeihen ein Ende. Damit vollzieht sich das Verzeihen jenseits des Gesetzes, das unser Leben fundamental bestimmt. Dieses Gesetzt lautet: Wer Schuld hat, muss zahlen.“ [….]

… ausser ich „verzeihe“! Ich ent-schuldige! Und nicht nur das, nein, „ich vergebe!“ noch dazu. Richtig, ich verzichte nicht nur auf „Wiedergutmachung“, sondern gebe noch etwas … eine Gabe … ein Geschenk.

Sie Schreibt:

„Der Verzicht auf die Lust, erfahrenes Leid heimzuzahlen beziehungsweise in Rechnung zu stellen, ist sein Geschenk, seine Gabe. Genau an diesem Punkt berühren sich die Begriffe des Vergebens und Verzeihens: Der Nicht-Akt des Verzichts geht über in den Akt des Gebens.“

Wie schnell ist es heraus gesagt, dieses „Ich verzeihe dir“ oder „Ich vergebe dir“, ohne auch nur einmal ernsthaft darüber nachzudenken, ob es wirklich angebracht ist, überhaupt notwendig ist, diese Begriffe als „alltägliche Floskel“ zu miss-brauchen. Wirklich verzeihen und vergeben zu können, zeigt sich erst dann, wenn es um das „Unverzeihliche“ geht. Also um zugefügtes Leid, Verletzungen und Schmerz, die uns zutiefst emotional treffen und erschüttern. Nur darum gehe es, wie es Derrida ausführt:

„Nur das UNVERZEIHBARE ruft nach Verzeihung! Das Verzeihbare schweigt, denn es braucht nicht verziehen werden. Wer nur dann verzeiht, wenn er die Beweggründe des Täters begreift, gar davon überzeugt ist, dass er an seiner stelle genauso gehandelt hätte, so Darrida, verzeiht nicht. Denn sobald eine Tat rational nachvollziehbar ist, ist sie kein Gegenstand des Verzeihens mehr, sondern der Versöhnung. In den Worten Derridas: Sobald das Opfer den Täter „versteht“, sobald es austauscht, sprich, sich mit ihm verständigt, hat die Szene der Versöhnung begonnen und mit ihr jenes geläufige Verzeihen, das alles ist ausser einer Vergebung. Die Versöhnung ist an die Bedingung des wechselseitigen Verstehens geknüpft. Eine Verzeihung im eigentlichen Sinne aber ist bedingungslos und spielt sich damit jenseits jeder Rationalität, jeder Nachvollziehbarkeit ab. Ein bedingungsloses Verzeihen widersetzt sich dem Verstand, weil es, dem Anspruch nach, auch die schlimmsten Verbrechen entschuldigt und dabei auf Seiten des Täters noch nicht einmal Reue verlangt.“ [….]

Doch wo bleibt da die Moral? Ist es nicht geradezu unmoralisch, manche Dinge einfach so auf sich beruhen zu lassen?

Anderer Meinung als Derrida ist u.a. Hannah Arendt, wenn es um „das Böse“, das Unverzeihliche geht. Sie schliesst bestimmte „Verbrechen“ von der Möglichkeit des Verzeihens aus und meint:

„Zweifellos bildet die Einsicht „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ den eigentlichen Grund dafür, dass Menschen einander vergeben sollen; aber gerade darum gilt auch diese Pflicht des Vergebens nicht für das Böse, von dem der Mensch im Vorhinein weiss, und sie bezieht sich keineswegs auf den Verbrecher. Während für Derrida nur das Unverzeihbare Gegenstand des Verzeihens ist, zieht Hannah Arendt genau den entgegengesetzten Schluss:
Das UNVERZEIHLICHE mag rufen, so viel es will – verziehen wird es nicht. Damit verbleibt Arendts Begriff des Verzeihens entschieden innerhalb der Grenzen der Rationalität: Was jenseits dieser Grenzen liegt, ist nicht mehr verzeihbar.“ [….]

Ich denke, nun wird es erst richtig interessant … und ich bin gespannt, wie’s dann ausgeht.

15 Gedanken zu “Verzeihen. Ein grosses Wort.

    • Liebe Alex, eigentlich war es nur mal als Buchtip gedacht. Vielleicht werde ich, wenn ich das Buch zu Ende gelesen habe, nochmal dazu schreiben. Ja, das Thema ist interessant und regt sehr zum Nachdenken an. Ich danke dir für deinen Kommi 🙂

      LG, Christel

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  1. Sehr interessant, wobei ich eher bei Hannah Arendt bin.
    Vorgestern kam der französische Spielfilm Sarahs Schlüssel, er kam erst um Mitternacht und ging bis 1.30 Uhr.
    Wem unvorstellbares und unmenschlichen Leid zugefügt wurde zerbricht entweder sein Leben lang daran oder kanalisiert es in Gewalt. Das ist die bittere Realität, so finde ich.
    Vielleicht kann die Liebe und Verständnis eines Partners helfen, dich ich glaube wenn ein Herz derart verletzt wurde gibt es nicht wirklich das Verzeihen oder gar Vergeben.
    Ob man dann selbst zum Monster wird, dass liegt dann meines Erachtens daran, ob ich gut oder böse bin.
    Und diese beiden Pole sind nun mal existent.

    Letztendlich aber, können nur Betroffene das beurteilen und einordnen.
    Weil es für nicht Betroffene außerhalb der realen Vorstellungskraft liegt.

    Was ich meine ist, ein großes Mass an bösem Potential muss doch Voraussetzung dafür sein, genauso zu werden wie die Peiniger bzw. Monster.

    Mir geht soviel und schon solange durch den Kopf und immer mehr komme ich eben zu diesem oben geschilderten Empfinden.

    Ich weiß, dass ich wieder einmal polarisieren werde aber noch können wir relativ offen unsere Meinung kundtun.

    Danke für Dein Beitrag Christel

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    • Danke für deinen ausführlichen Kommentar. Den Film habe ich auch gesehen – sehr, sehr berührend und von den Schauspielern hervorragend dargestellt. Es geht um Sarahs Schuld, die sie nicht tragen konnte, obwohl sie ja „unverschuldet“ in diese Situation geraten ist. Sie hat es nicht geschafft, das Vergangene und anschliessend Verdrängte als Bestandteil ihres Lebens zu akzeptieren. Dies ist ein Lernprozess.
      Und sie konnte sich nicht selbst verzeihen – wie auch? Wie sollte sie sich eine Schuld verzeihen/vergeben, wo es eigentlich keine Schuld gab? Zu diesem Film gehen mir sehr viele Gedanken durch den Kopf. Ich denke dabei auch an Viktor Frankl, der Verzeihen und Vergeben konnte … seine Geschichte berührt mich ganz besonders.

      Ich möchte aber zunächst noch das Buch von Svenja Fasspöhler zu Ende lesen, bevor ich mich ausführlicher zum Thema äussere. Es gibt so viele Ansichten/Meinungen, die ich erst noch kennenlernen und überdenken möchte.

      Wundere dich bitte nicht, wenn das ein bisschen dauert, denn im Moment kann ich immer nur sehr kurze Zeit am PC sitzen und muss eure Einträge und Kommis dann alle nachträglich lesen. Seit letzten Donnerstag bin ich fast bewegungsunfähig und muss erst eine üble und ziemlich schmerzhafte Hüftgelenkentzündung auskurieren. Also bitte nicht böse sein, wenn ich so wenig lese und kommentiere.

      Ganz liebe Grüsse zu dir und schönen Abend,
      Christel

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      • Liebe Christel,

        irgendwie ist der Wurm drin, meine Mutti liegt seit heute Morgen im Krankenhaus, sie ist einfach umgekippt. Jetzt habe ich wieder große Sorgen.

        Also, für Dich die besten Genesungswünsche und vor allem das Du bald wieder Gesund bist!

        LG Babsi

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      • Das tut mir leid, ich hoffe, es ist nichts Schlimmes bei deiner Mutti. Und dass du wieder grosse Sorgen hast, gefällt mir auch nicht 😦
        Ich hoffe und wünsche dir, dass bald wieder alles gut ist.
        LG, Christel

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  2. VERZEIHEN – VERGEBEN – VERSÖHNEN
    __________________________________

    Versöhnung

    VERSÖHNUNG
    ist etwas ganz
    PERSÖNLICHES,
    ICH – BEZOGENES …

    Also
    geschieht VERSÖHNUNG
    s p o n t a n ,
    wenn ich es will,

    und n i c h t , n u r
    weil andere es erwarten …
    ___
    © PachT 2010
    Aus meinem Tagebuch

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