Über Wölfe und Frauen

 

Er wanderte so lange, bis er ein freies Territorium und eine bezaubernde Partnerin gefunden hatte. Auf den ersten Blick war ihm klar: Das ist sie – meine zukünftige Alpha-Wölfin! (da sind Wölfe den Menschen sehr ähnlich oder umgekehrt 😉 )

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Zärtlich und voller Respekt näherte er sich und das gefiel ihr. Um ihm auch von ihrer Seite aus enorme Zuneigung zu zeigen, gab sie ihm ein Küsschen auf die Wange 🙂 :

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Aber Frauen wollen ja immer mehr und tun nichts umsonst. Also schaute sie ihn mit ihrem schönsten Augenklimpern an und fragte: „Erzählst du mir eine Geschichte?“ (sowas mögen Wolfs- wie auch Menschenfrauen 🙂 )

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„Also gut“, antwortete er, „dann reden wir mal über Menschen – speziell Frauen! Was da so alles über uns zusammengedichtet wird … na ja, sie kennen uns fast ausschliesslich nur aus Mythen, Märchen und Fabeln. Bösartige Tiere wären wir. Stell dir das mal vor. Sie fürchten uns, weil wir angeblich Geißlein verschlingen und noch eine Großmutter und das Rotkäppchen dazu. Was für ein ungeheurer Quatsch! Aber hör selbst, was mir da zu Ohren kam – eine schon merkwürdige Geschichte und da gibt’s noch mehrere. Doch eine reicht mal, wir haben ein ganzes Leben zum Geschichten erzählen vor uns. Sie kuschelte sich eng an ihn und er begann:

Das Märchen Rotkäppchen
– politisch korrekt erzählt

Es war einmal ein junger Mensch namens Rotkäppchen, sie lebte mit ihrer Mutter am Rande eines großen Waldes. Eines Tages bat ihre Mutter sie, ihrer Großmutter einen Korb frischen Obstes und natriumarmen Mineralwassers zu bringen. Dieses beileibe nicht, weil es sich hier um eine typische Frauenarbeit handelt, sondern weil eine derartige Handlungsweise hilft, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen.

Schließlich ist die Großmutter auch keinesfalls krank, sondern im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte, von daher also durchaus in der Lage, ihr Leben als reife Erwachsene selbst in die Hand zu nehmen.

So streifte also Rotkäppchen mit ihrem Korb durch den Wald. Viele Menschen glaubten, der Wald sei gefährlich und voller dunkler Kräfte und setzten nie auch nur einen Fuß in seine Nähe. Rotkäppchen jedoch vertraute viel zu sehr Ihrer knospenden Sexualität, als dass derartig Freudianische Vorstellungen sie hätten einschüchtern können. Auf dem Weg zum Haus ihrer Großmutter wurde Rotkäppchen von einem Wolf angesprochen, der wissen wollte, was sie in ihrem Korb habe.
„Reformhauskost für meine Großmutter, die selbstverständlich alleine in der Lage ist, ihr Leben als reife Erwachsene zu führen.“ antwortete Rotkäppchen.

Der Wolf aber entgegnete: „Weisst Du, Kleines, es ist gar nicht so ungefährlich für ein kleines Mädchen, sich in diesem Wald herumzutreiben.“

Sofort sagte Rotkäppchen:“ Ich finde Deine sexistische Bemerkung zwar außerordentlich beleidigend, bin jedoch bereit, diese zu ignorieren, da Du ein klassischer Außenseiter der Gesellschaft bist und der Streß dieses sozialen Status bei Dir zur Entwicklung eines eigenen, für Dich individuell gültigen Weltbildes geführt hat. Nun entschuldige mich aber, ich muss weiter.“

Und Rotkäppchen folgte weiter der Straße zum Haus ihrer Großmutter. Der Wolf aber, dessen Status als Außenseiter ihn von der sklavischen Verfolgung linearer, in der westlichen Kultur begründete Denkmuster befreit hatte, wusste eine Abkürzung.

Er brach in das Haus ein und fraß die Oma, ein für einen Fleischfresser für sich genommen durchaus legitimes Verhalten. Nun aber, ungehemmt von starren, traditionalistischen Vorstellungen von männlichem und weiblichem Verhalten, legte er die Kleider der Großmutter an und kletterte in ihr Bett.

Als Rotkäppchen die Waldhütte betrat, rief sie: Großmutter, ich habe Dir ein paar fett- und cholesterinarme Lebensmittel mitgebracht um Dich in Deiner Rolle als weiser und nährender Mutter des Matriarchats zu stärken.“

„Näher, mein Kind, komm näher.“ ertönte es leise vom Bett. „Oh je“, rief Rotkäppchen, „ich hatte ja ganz vergessen, dass Du optisch herausgefordert bist wie eine Fledermaus. Oma, was hast Du nur für große Augen!“
„Viel haben sie gesehen, und viel vergeben, meine Liebe.“
„Oma, was hast Du nur für eine große Nase. Selbstverständlich nur eher vergleichsweise und durchaus schön auf ihre eigene Art.“
„Viel hat sie gerochen, und viel vergeben, meine Liebe.“
„Großmutter, wie groß sind Deine Zähne!“

„Ich bin durchaus zufrieden mit meiner Identität und was damit zusammenhängt“ sagte der Wolf und sprang aus dem Bett. Sofort packte er sie mit seinen Klauen in der Absicht, sie alsbald zu verzehren. Rotkäppchen schrie auf, nicht aus Besorgnis über des Wolfs offensichtliche Tendenz sich über bürgerliche Normen geschlechtsspezifischer Kleidung hinwegzusetzen, sondern wegen des bewußten Eindringens in ihre Privatsphäre. Ihre Schreie wurden von einem vorbeigehenden Holzfäller gehört (er selbst zieht es vor, sich als Ingenieur für nachwachsende Rohstoffe zu bezeichnen). Er stürmte sofort in die Hütte, nahm die Gefahr wahr, und wollte Rotkäppchen zu Hilfe eilen. Als er aber seine Axt hob, ließ der Wolf von Rotkäppchen ab und beide wandten sich ihm zu.
„Was glaubst Du eigentlich, was Du hier machst?“ herrschte Rotkäppchen ihn an. Der Holzfäller zuckte zusammen und er versuchte zu antworten, doch ihm fehlten die Worte.
„Du platzt hier rein wie ein Neandertaler, im Vertrauen auf Deine Waffe, die Dir das Denken abnimmt“, schimpfte sie, „Sexist! Rassist! Was bildest Du Dir eigentlich ein, anzunehmen, Frauen und Wölfe könnten ihre Probleme nicht ohne die Hilfe eines Mannes lösen?“

Als die Großmutter Rotkäppchens leidenschaftliche Worte hörte, sprang sie aus dem Maul des Wolfs, ergriff die Axt des Holzfällers und hieb ihm den Kopf ab. Nach diesem Gottesurteil ergriff Rotkäppchen, ihre Großmutter und den Wolf ein eigentümliches Gefühl für die Gemeinsamkeit ihrer Interessen und so entschieden sie sich, eine auf gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme gegründete WG zu bilden, worin sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage lebten.
(W o l f g a n g   R a u)   

Hier gelesen:  http://www.xn--wlfe-5qa.info/html/geschichten.html

Die Fotos sind von mir! 🙂

 

3 Gedanken zu “Über Wölfe und Frauen

    • Ich bin ziemlich oft in Wolfsgehegen und halte mich dort sehr gerne auf.
      In Klein-Auheim/Hanau bin ich am liebsten – bei den Polarwölfen 🙂
      Dann auch sehr gerne in Silz/Pfalz. Dort leben ca. 40 Wölfe im Rudel. Und dann im Wolf- und Bärenpark Schwarzwald in Bad Rappenau und im Gehege beim Erlebnispark Tripsdrill etc.
      Die zwei Wölfe da oben leben in Silz, da habe ich letztes Jahr auch ein kleines Video gemacht:

      Im Oktober habe ich zwei Wochen Urlaub, dann ist wieder Klein-Auheim/Hanau dran und ich freue mich sehr darauf 🙂

      Liebe Grüsse und schönen Sonntag ❤ ,
      Christel

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