„Lediglich dem Menschen ist ein anderes Los bestimmt“ – erste Eindrücke vom Buch …

 

Tschingis Aitmatow – er ist kein Autor für amüsante Stunden, aber sein Schreibstil, seine Worte … sie sind so berührend wie diejenigen der ganz grossen Schriftsteller. Er schildert die endlosen Weiten der Savanne, deren Pflanzen- und Tierwelt, so ergreifend bildhaft, dass dies eine unglaubliche Faszination in mir auslöst.
Und dann das Leben der Wölfe, das „Verhältnis“ der Wölfin Akbara zu ihrem Wolf und ihren Welpen …. einfach bewunderungswürdig!
Vielleicht sagt ein kleiner Textauszug, was ich meine – Worte, so tiefsinnig und gedankenanregend. So aufregend, dass ich mich kaum von der Lektüre lösen kann. Dieses: „Und wie geht’s nun weiter?“ hat mich total vereinnahmt.

Die Szene: Die Wölfin Akbara liegt in der glühenden Sommerhitze träge mit ihrem Wolf auf einer Anhöhe. Ihre drei Welpen springen munter umher und erforschen ihre Umwelt. Eine grosse Herde Saigas (Antilopen) streift auf der Suche nach einer Wassertränke an ihnen vorbei:

„Im Blick Akbaras schimmerte ein Wissen durch – lass die Saigas jetzt nur davonziehen, es kommt der festgesetzte Tag, alles, was in der Savanne war, wird in der Savanne bleiben. Die Wolfsjungen hatten sich inzwischen darangemacht, den Vater zu belästigen, sie versuchten, den mürrischen Taschtschajnar aufzuscheuchen.
Akbara aber stellte sich plötzlich den Anfang des Winters vor, sah die grosse Halbwüste ganz in Weiss vor sich, jenen schönen Tag, da zur Morgendämmerung Neuschnee auf der Erde liegt, einen Tag oder einen halben Tag lang liegen bleibt, jene Stunde aber wird den Wölfen das Signal geben für die grosse Jagd. Und von dem Tag an wird die Jagd auf die Saigas die Hauptsache in ihrem Leben sein. Und dieser Tag wird anbrechen! Nebelschwaden in den Niederungen, frostiger Raureif auf dem traurigen weissen Tschij, auf den umgeknickten buschigen Tamarisken und diesige Sonne über der Savanne – die Wölfin stellte sich den Tag so deutlich vor, dass sie unwillkürlich erbebte, als wäre das alles bereits so, als hätte sie unverhofft die frostige Luft eingeatmet und würde bereits auf den federnden Pfotenpolstern geschlossen zu Blütensternbildern, dahintappen, auf verharschtem Schnee, und vollkommen deutlich konnte sie ihre stattlich ausgewachsenen Mutterspuren lesen und alle Spuren der Wolfsjungen. Bereits erwachsen wären sie dann, stünden fest auf den Beinen und zeigten schon ihre Neigungen, ihre Spuren würde sie selbst lesen und wiederum all das erkennen, gleich daneben den Abdruck der stärksten Pfoten – mächtige Blütenstände mit Krallen wie Schnäbeln, die aus Nestern herausragten, das wären die Pfoten Taschtschajnars, tiefer und kräftiger in den Schnee eingedrückt als all die anderen, weil er gesund ist und schwergewichtig an der Wamme, er ist die Kraft und das blitzschnelle Messer an den Kehlen der Antilopen, und jede eingeholte Saiga wird den weissen Schnee der Savanne schlagartig mit purpurrotem Blut tränken, wie ein Vogel – im Schwingen der heissen roten Flügel, um des einen Zweckes willen, damit anderes Blut lebe, verborgen in ihren grauen Fellen, denn ihr Blut lebte auf Kosten eines anderen Blutes; so war es vom Ursprung aller Anfänge vorgegeben, ein anderes Mittel gab es nicht, und da war niemand Richter, wie es auch weder Schuldlose noch Schuldige gab, Schuld hatte nur der, der das eine Blut schuf für das andere. (Lediglich dem Menschen ist ein anderes Los bestimmt, er beschafft sich sein Brot durch Arbeit, und durch Arbeit züchtet er sich Fleisch – er erschafft die Natur für sich selbst.)“
(Textauszug aus „Der Richtplatz“ von Tschingis Aitmatow)

Am Anfang des Romans schreibt er zunächst über die heile Welt der kasachischen Steppe und u.a. diese Worte: „ihnen (den Tieren) war noch weniger das Wissen eingegeben, dass alles, was in der menschlichen Gesellschaft gewöhnlich geworden ist, in sich die Quelle des Guten wie des Bösen … verbirgt. Und dass es ganz von den Menschen abhängt, wohin sie diese Kraft lenken.“ …  ein Kapitel, welches Emotionen anwachsen lässt!

 

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