Alle meine Wünsche/Grégoire Delacourts

„Man lügt sich immer an“, heisst der erste Satz

Christine Westermann schreibt über Grégoire Delacourts Buch „Alle meine Wünsche“:

„Man lügt sich immer an, heißt der erste Satz. Manchmal genügt mir schon ein kleiner erster Satz wie dieser, um dennoch meine Aufmerksamkeit zu wecken.
Das Buch hat nur knapp 130 Seiten, aber es hat es in sich. Der Ton ist ruhig, bedächtig, ändert sich auch nicht, als die Geschichte durch den Lottogewinn eine völlig unerwartete Wendung nimmt. Nein, es wird nicht das Klischee von der Lottomillionärin beschrieben, die sich alle Wünsche erfüllen kann und dennoch nicht recht glücklich wird. Es passiert etwas anderes, etwas Ungeheuerliches. Man verfolgt beim Lesen mit stillem Staunen, wie sachte, beinahe belanglos sich eine persönliche Tragödie entwickelt und wie zurückhaltend sie beschrieben wird.
Wann hat man Lust, ein Buch zu empfehlen? Wenn kleine Geschichten in einem selbst große Wirkung entfalten. Wenn sie noch lange nachhallen. Dieser Roman mit dem langweiligen Titel und dem öden Umschlag ist ein Buch, das ich sehr gern empfehle.“

Ich kann es auch nur empfehlen, nachdem ich es jetzt gelesen habe. Dieses grossartige Buch hat in mir grosse Wirkung entfaltet, mich mitgerissen und sehr tiefgehende Emotionen ausgelöst.

„Unsentimental, etwas melancholisch, poetisch und fesselnd. Es treibt einen zuweilen Tränchen in die Augen.“ (Arno Udo PfeifferMDR Radio Sachsen-Anhalt, 09.11.2012) … genau so ist es – vor allem fesselnd.

Hier ein kleiner Textauszug:

„Das Haus ist still.

Papa schläft in seinem kühlen Zimmer im Erdgeschoss. Die Pflegerin ist zu ihrem Liebsten gegangen; ein großer Bursche mit nettem Lächeln, er träumt von Afrika, von Schulen und Brunnen (ein Kandidat für meine Million?)
Wir haben einen Kräutertee getrunken, mein Vittorio Gassman und ich, vorhin, im Schatten der Terrasse; seine Hand zitterte in meiner; ich weiß, dass ich nicht sicher bin, ein Windhauch, vielleicht ein Zweiglein; ich bin jetzt so ruhelos für einen Mann, ich kann nichts machen.
Er ist schweigend aufgestanden und hat mich auf die Stirn geküsst: Bleib nicht zu lange, Jo, ich warte auf dich; und bevor er in unserem Zimmer auf eine Heilung hofft, die nicht heute Abend kommen wird, hat er die CD mit der Arie von Mozart aufgelegt, die ich so liebe ….  [ …]
Und heute Abend, wie jeden Abend, folgen meine Lippen in perfektem Playback denen von Kiri  Te Kanava, wenn sie die bewegende Arie der Gräfin Almaviva singt:
“Dove sono i bei momenti … :
Ach, wo sind sie, die Augenblicke
Voller Süße und voller Glück?
Ach, was blieb von den heißen Schwüren
dieses Mundes mir zurück?
Wenn all das in Leid und Tränen
sich für mich verwandelt hat,
warum wird dann meine Seele
der Erinnerung niemals  satt?“
Ich singe für mich, stumm, das Gesicht dem dunklen Meer zugewandt.
Ich werde geliebt. Aber ich liebe nicht mehr.
Heute Abend, wie jeden Abend, folgen meine Lippen in perfektem Playback denen von Kiri  Te Kanava“: