Eigentlich wollte ich es erst im Urlaub lesen, aber es lies mich nicht in Ruhe. Was und vor allem wie schreibt solch eine Autorin? Und dann noch über solch ein Thema, mit dem ich mich bisher noch nicht sehr auseinandergesetzt habe?
Sibylle Knauss, Jahrgang 1944. Studium der Germanistik, Anglistik und evangelischen Theologie in München und Heidelberg. Gymnasiallehrerin im Saarland. Dozentin für Creative Writing. Seit 1981 Autorin von Romanen. Darunter der Bestseller »Evas Cousine«, den die New York Times unter die Notable Books of the Year wählte. Zuletzt erschien von ihr bei Hoffmann & Campe der Roman »Fremdling«. Von 1992 bis 2012 Professorin an der Filmakademie Baden-Württemberg und Drehbuch-Dramaturgin. http://www.sibylle-knauss.de
Ein 5-Sterne – Leserkommentar zu „Das Liebesgedächtnis“:
„Das Geheimnis aller Dinge wird der Mensch niemals begreifen. Wohl aber kann er es durch die Liebe erkennen. Über „Die Kunst des Liebens“ stellte der Psychoanalytiker Erich Fromm einst überzeugende Thesen auf. Über diese Kunst erzählt Sibylle Knauss uns jetzt eine bezaubernde Geschichte: die zweier älterer Menschen, die das Schicksal oder auch nur der Zufall zusammenführt. Trotz aller Widrigkeiten wächst eine tiefe Liebe zueinander, eine „still wachsende Magie, bis wir einander wie von selbst zufallen“. Nichts kann diesem großen Gefühl etwas anhaben.“
Ich kann es nicht glauben, dass ein Mann so ausgesucht grausam ist. So vollkommen kalt.
Sie ist Ende sechzig. Er, ihre große Liebe ist drei Jahre älter als sie. Erst spät begegnen sie sich und erleben eine Liebe – die unendlich große Liebe – die alles überwindet.
Unglaublich? Nein, ich denke, wer dieses Buch liest, glaubt der Autorin jedes Wort. Worte, die so bezaubernd und wirklichkeitsnah sind, dass sie immer wieder gelesen werden wollen.
Sibylle Knauss erzählt eine berührende Geschichte, in deren Mittelpunkt zwei ältere Menschen stehen. Beide sind schicksalshaft miteinander verbunden. Es ist ein sensibles Bekenntnis zu einer Lebensbeziehung, in welchem der Zufall, das Schicksal und die unbändige grenzenlose Liebe eine wichtige Rolle spielen. Dies ist ein Roman über die Kunst des Liebens. Eine Geschichte über Rausch, Betörung, Lust und Leidenschaft…. auch noch mit siebzig und länger.
Wie wir uns das vorstellen müssen? Hier ein kleiner Textauszug:
„Manchmal wache ich nachts auf und erschrecke fürchterlich. Ich höre jemanden atmen in meinem Schlafzimmer. Er muss ganz nah bei mir sein. Das Schrecklichste überhaupt. Aufwachen. Und da ist jemand. Ich höre den Atem der Dunkelheit neben mir.
Und dann fällt mir ein, dass du es bist. Du bist bei mir. Im Fastdunkel meines Schlafzimmers erkenne ich dich. Du schläfst auf dem Bauch, die Arme weit ausgestreckt, dein Gesicht zu mir gewandt. Die Silhouette deiner eckigen Schultern rührt mich, weil sie mich an den Jungen erinnert, der du einmal warst und den ich nicht gekannt habe. Ich kann ihn in dir sehen. Ich habe Augen, die ihn in dir sehen können. Er ist jetzt über siebzig, hat immer noch diesen schmalen Kopf […
]
Ich erinnere mich, wie ich beim ersten Mal, als du neben mir eingeschlafen bist, Angst hatte, dich zu betrachten. Ein Schlafgesicht verrät zu viel. Und das Schlafgesicht eines alten Menschen verrät so vieles, was man lieber nicht wissen will. Es hätte hässlich sein können, dein Schlafgesicht, und das wollte ich nicht sehen. Und ich war so erleichtert und bin es noch jedes Mal, wenn ich dir beim Schlafen zusehe. Der Schlaf verwandelt dich, das ist wahr. Er macht dich fremder für mich. Aber auch mit diesem fremden Gesicht gefällst du mir […]
Eine Verwandlung geht mit uns vor, die radikaler ist als die unserer Gesichter im Schlaf. Sie macht Liebende aus uns, übergießt uns mit Schönheit, dich für mich, mich für dich. Wahrscheinlich macht sie sich zunutze, dass wir nicht mehr gut sehen. Egal. Wir gestehen ihr das zu und nehmen unsere Brillen ab, die ohnehin bei der Liebe hinderlich sind. Die Schönheit, die sich uns offenbart, denn es ist eine Offenbarung, die uns zuteil wird, überwältigt uns. Wir schließen unsere Augen, weil sie uns blendet. Wir ertasten sie. Bist das alles du?, fragst du. Ich erkenne an dieser Frage dass du sie zu stellen verstehst deine Begabung zum Liebhaber.
Als du sie zum ersten Mal stellst, sind wir noch lange nicht zu weit. Du hast mir in den Mantel geholfen und stehst hinter mir, und du lässt deine Hände über meine Brüste gleiten. Ich drehe mich zu dir um und hoffe, dass du weitermachst. Ich muss gehen, sage ich. Dabei hoffe ich es so verzweifelt. Aber du sagst: Auf Wiedersehen, und gibst mir die Hand. Du bringst es fertig, mir die Hand zu geben! Ich kann es nicht glauben, dass ein Mann so ausgesucht grausam ist. So vollkommen kalt. [… ]“
(aus Das Liebesgedächtnis von Sibylle Knauss)
Nein, er ist natürlich nicht grausam und kalt, sondern ein ganz besonderer Mann
Und dieses Buch ist ein ungewöhnliches, ein ganz besonderes.
Es bekommt von mir 5 Sterne mit * !
Eine bezaubernde und sehr berührende Geschichte über die Kunst des Liebens. “ Das Liebesgedächtnis“ ist der 13. Roman der großen Erzählerin Sibylle Knauss. Es ist ihr wahrhaftigster, ihr bester, ein Meisterwerk!“ (ein Leserkommentar)
Textauszug:
„Ich gab eine dieser Geschichten zum Besten, mit denen man in Gesellschaften auf sich aufmerksam macht. Sie handelte von den alten Männern in meinem Freundeskreis, von denen es plötzlich so viele gibt. Sie werden heutzutage neunzig und kein Gedanke ans Altersheim. Früher, hörte ich mich sagen, hätten die längst mit dem Kopf gewackelt, und heute sind sie auf parship.de und suchen nach jüngeren Frauen. [….] (Textauszug ab Pos.121)
Habe ich gewählt, als ich dich wählte? War ich klug, dass ich dich fand?
Ach, ich war bedürftig. Das war die einzige Klugheit, die ich besass. Und auch du warst bedürftig. Aber wir erkannten unsere Bedürftigkeit nicht. Damals sprachen wir über alles, nur nicht über unsere Bedürftigkeit. Dabei wusste ich doch, wie es geht. Ich hatte es ausführlich mit den Studenten behandelt. „Dramaturgie der Liebe“ am Beispiel erotischer Filmkomödien. Shakespeare in Love. Harry and Sally. Stolz und Vorurteil.
Ein höchst anziehender Mann, schön, sexy, erfolgreich etc., fabelhafte Dialoge, tolle Performance etc. – ihre Geschichte lässt uns eiskalt. Doch irgendwann entdecken wir den verklemmten, schüchternen, einsamen Mann in ihm und die verklemmte, schüchterne, einsame Frau in ihr. Diese beiden reden sich um Kopf und Kragen, sie missverstehen, sie blamieren sich, sie verlieren ihre Fassung und stehen plötzlich in ihrer ganzen Bedürftigkeit voreinander da. Die Bedürftigkeit ist ihre Nacktheit, ob wir sie sehen oder nicht. Das ist der Moment, in dem wir bei ihnen sind und sie bei sich. Und wir geben alles dafür, um ihn zu erleben. Das Wunder der Liebe ist nicht, dass Begegnung zustande kommt. Das Wunder ist die Enthüllung der Bedürftigkeit. Und dass sie sich so lange verhüllen kann, bis ihr grosser Moment gekommen ist. Ein grosser Auftritt. Sieg und Kapitulation in einem. Man muss sehr tapfer sein, um ihn zu bestehen. Barmherzigkeit üben. Der tiefste zitternde innere Kern ist Barmherzigkeit.
Ich war wohl klug, dass ich dich fand. Doch es war meine Bedürftigkeit. Deine Güte hat Sex-Appeal für mich. Deine Aufrichtigkeit. Deine Mitmenschlichkeit. Deine Sanftmut. Deine Fürsorglichkeit. Deine Freundlichkeit. Deine Wärme. Deine Einsichtsfähigkeit. Die Klugheit und Menschenkenntnis, die du besitzt. Das alles hat Sex-Appeal für mich. Und wenn ich Sex-Appeal sage, dann meine ich Sex-Appeal. Ich meine Rausch und Betörung und Lust und Leidenschaft.
Die Zeit der Wölfe ist vorbei. Du bist der erste Mann, der gütig, aufrichtig, zärtlich ist – und den ich trotzdem lieben kann.
Denn ich habe meine Lust an den Wölfen gehabt. Ich wurde nicht vom Unglück verfolgt, sie zu lieben. Ich suchte sie. Und sie gingen in der Nacht um und suchten mich, und ich liess mich finden. Ich liebte ihre Verschlagenheit. Ihre Kunst, sich zu verbergen und plötzlich, wie aus dem Hinterhalt, da zu sein.
Ich liebte ihre Verführungsmacht, die Gewalt, die noch in ihren zärtlichsten Gesten auf mich lauerte. Ich liebte den Hunger, mit dem sie verschlangen, was sich ihnen darbot. Mich. Denn Wölfe sind immer hungrig. Sie sind unersättlich. Sie brauchen immer mehr von dir, als du ihnen geben kannst. Dann geben sie dir ihre Wut zu kosten. Und die Wut der Wölfe ist fürchterlich. Du solltest sie niemals wecken. Sie sind nicht barmherzig. Das ist der wölfischste Teil in ihnen. Dass sie nicht barmherzig sind. Traurig ja. Und verloren. Und einsam, dass es zum Erschauern ist. Aber barmherzig niemals. Warte nicht darauf. Du wartest vergebens. Ich liebte das Geheimnis, das um sie ist. Das Rätsel ihres Verschwindens von Zeit zu Zeit. Die Ungewissheit, wann sie wieder nachts aus dem Dunkel auftauchen, Hunger im Blick und den Anflug einer Zerknirschung, die, wenn sie nicht Wölfe wären, sie zum Hund machen könnte. Das wissen sie und sie fürchten es. Und du fragst, wo bist du gewesen? Aber das ist die Frage, die du den Wölfen nie stellen darfst. Sie kennen Mittel und Wege, um dich zu bestrafen, wenn du es tust. Sie lassen es dich bereuen. Verlass dich darauf. Deine Reue erzeugt am Ende in ihnen so etwas wie eine mürrische, rasch sich erschöpfende Beinahe-Zärtlichkeit, und du begreifst, dass es das Äusserste ist, was du von ihnen erwarten kannst, und nimmst es für das, was du niemals von ihnen bekommen wirst. So geht die wölfische Liebe.
Es ist nichts Besonderes daran, wie man sieht. Ein ganz gewöhnlicher Teufelskreis aus Begehren, Unterwerfung, Lüge und Appetit auf Verbotenes.
Ja, sagst du am Telefon.
Ja. Wir haben beide bestimmt schon eine Million Mal ja gesagt. Es ist das schönste Wort. Es kommt gleich nach jetzet. Ja.
Ich bin allerdings nicht sicher, ob du den Wolfspakt verstanden hast. Aber du musst ihn auch nicht verstehen. Bitte versteh ihn nicht. (Textauszug ab Pos. 176)