Jetzt reden wir mal über die LIEBE …
… auch wenn es etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt. Ich habe darüber gelesen und nachgedacht. Über das, was Jorge Bucay dazu zu sagen hat.
Ja, er spricht auch über Liebe und was er sagt, empfinde ich als so wahr, so einleuchtend, dass ich es hier festhalten möchte:
„Ich rede von einem Gefühl, das jeder erleben kann. Ich rede von einfachen und wahren Emotionen. Ich rede von transzendenten, aber nicht von übermenschlichen Erfahrungen.
Ich rede von Liebe als der Fähigkeit, jemanden sehr zu begehren (und ich sage das nicht im etymologischen Sinn, wo „begehren“ auch mit Besitz zu tun hat, sondern im alltäglichen Sinn, von „ich begehre dich“).
Vielleicht sind diese Erklärungen ungenügend. Vor allem, wenn du dir noch nie die Mühe gemacht hast, darüber nachzudenken, was du sagst, wenn du „ich liebe dich“ sagst, oder was dir derjenige sagt, der dir sein Gefühl mit diesen Worten offenbart.
Was die Welt meiner Gefühle angeht – und du hast jedes Recht, dies für dich weit von dir zu weisen -, so behaupte ich, wenn wir jemanden lieben, spüren wir, dass diese Person uns wichtig ist und dass wir an ihrem Wohlergehen interessiert sind. Nicht mehr und nicht weniger. Und das meine ich, wenn ich in diesem Buch (und in meinem gesamten Leben) über Gefühle rede.
Wenn ich jemanden liebe, bin ich mir darüber im Klaren, wie wichtig es für mich ist, was dieser Mensch tut, was ihm gefällt und was ihm wehtut.
Vielen mag diese Definition von Liebe kaum als grosse Sache erscheinen, was meiner Meinung nach damit zusammenhängt, dass die Liebe eben manchmal auch gar keine grosse Sache ist.
Diese Definition legt nahe, dass Menschen, denen dein Leben wenig am Herzen liegt, dich wohl kaum lieben können, auch wenn sie dir ständig ins Ohr säuseln, wie sehr sie dich mögen. Umgekehrt merkt man, dass man von Menschen geliebt werden kann, die sehr wohl noch von einem abhängig sind und denen es nicht gleichgültig ist, wie es einem geht, mögen sie auch noch so eifrig durch die Welt spazieren und behaupten, sie hätten aufgehört, einen zu lieben oder hätten einen niemals geliebt.
Wenn du mich wirklich liebst, dann bin ich dir wichtig! Das bedeutet, dass du mich wohl nicht sehr lieben kannst, wenn du dich kaum darum kümmerst, wie es mir geht.
Obwohl es mir schwer fällt, das zu akzeptieren. Es sagt ja nichts Schlechtes über dich oder mich aus, es ist nicht schlimm zu wissen, dass du mich nicht liebst. Es ist die reine Wahrheit, auch wenn es eine traurige Wahrheit ist.
Die herkömmliche Moral, die eine vorbehaltlose, selbstlose und beinahe obligatorische Liebe verlangt, hat mit dem eigentlichen Gefühl nichts zu tun. Ich glaube sehr wohl, dass man jemanden lieben kann, den man nicht kennt, vorausgesetzt, dieses Gefühl ist aufrichtig und frei. Ich will sagen: Der Nachbar an der Ecke und das Kind aus dem Kosovo und die Obdachlosen in Dallas bedeuten mir etwas über sich selbst hinaus; ihr Wohlergehen liegt mir am Herzen, aus dem einfachen Grund, dass sie Menschen sind. Aber in diesem Kapitel geht es um meine Beziehung zu den Menschen, die ich mir zu Wegbegleitern wähle, diejenigen, die meine Antwort auf die dritte Frage sind, unabhängig von Nächstenliebe, Barmherzigkeit und dem Wissen über das Einssein mit allem und auch davon, dass ich lernen kann, mich selbst in den anderen zu lieben.
Sind wir ehrlich, so merken wir, dass wir in Wahrheit nicht jeden mit derselben Intensität lieben. Ohne mich zu schämen, muss ich zugeben, dass mir das Leben meiner Freunde, meiner Eltern und meiner Kinder wichtiger ist als das von Unbekannten, auch wenn ich zweifellos weiss, dass sie meine ganze Aufmerksamkeit und meine Hilfe verdienen.
Wir alle lieben die einen mehr als andere, und das ist nicht nur normal, sondern einfach auch gesund (wir lieben sogar nicht alle unsere Kinder auf dieselbe Weise, auch wenn wir es uns kaum eingestehen mögen).
Es ist also verkehrt, eine Rechnung aufzumachen, in der man das, was einen von ganz alleine anzieht, vergleicht mit dem, wovon man glaubt, es sich abringen zu müssen, um allem und jedem mit dem gleichen Gefühl und auf dieselbe Art und Weise zu begegnen.
Bei allem Respekt, die Behauptung, jemand liebe die Menschheit in ihrer Gesamtheit, ohne irgendeinen einzelnen Menschen zu bevorzugen, ist in aller Regel Ausdruck eines aussergewöhnlichen Gefühls, das eher Heiligen vorbehalten bleibt; im Alltag ist es nur eine verlogene Wahlkampfparole von Politikern und Demagogen.
Eine Ausnahme stellt womöglich die Gruppe derer dar, die lügen, indem sie sich selbst belügen; gefühlsunfähige Menschen, die nicht lieben, denen jegliches Gespür für eine liebevolle Annäherung sowie für ihre eigenen Beschränkungen abgeht. Solche Menschen beteuern, für alle das Gleiche zu empfinden: eine „globalisierte“ Liebe, die sie nicht präzisieren können (was nicht erstaunlich ist, denn da gibt es gar kein Gefühl, das sich präzisieren liesse).
Setze ich mich über das ungerechtfertigte Schuldgefühl, das ich meiner Erziehung verdanke, hinweg und gebe zu, dass ich manche Menschen mehr liebe als andere, dann beginne ich, was viel gesünder ist, mein wachsendes Interesse auf Dinge und Menschen zu richten, die mir wirklich wichtig sind, und kann mich stärker und ausschliesslicher auf diejenigen konzentrieren, die ich tatsächlich mehr liebe. […]
Es scheint verlogen, aber in unserem Alltag einer urbanen, westlichen Gesellschaft, kümmert sich die Mehrheit der Leute mehr um Menschen, die ihnen nicht wichtig sind, als um diejenigen, die sie von ganzem Herzen zu lieben behaupten. Wir verbringen mehr Zeit mit dem Versuch, Menschen zu gefallen, die uns nicht interessieren, als die Menschen zu erfreuen, die wir lieben.
Und das ist nicht nur irritierend, sondern … beschränkt.
[…]
Es liegt überhaupt nichts Unmenschliches in dem Gedanken, jeder solle das bisschen Zeit, über das er verfügt, den Menschen schenken, die er am meisten liebt; auch nicht in der Aufforderung, man möge versuchen, mehr Zeit mit den Leuten zu verbringen, die im selben Rhythmus und in dieselbe Richtung gehen wie man selbst.
Unmenschlich wäre das Gegenteil.“
(Textauszug aus: „Drei Fragen: Wer bin ich? Wohin gehe ich? Und mit wem? / Jorge Bucay)
Das hat er alles wundervoll und nachvollziehbar erklärt. Zweifel gibt es da bei mir auch nicht – ich kann allem zustimmen. Aber …
… was halte ich nun wohl von jemandem, der mir beteuert, dass ich ihm wichtig sei, einem der sich dann aber kaum um mich kümmert, den es offensichtlich kaum interessiert, wie es mir geht und der chronisch unter Zeitmangel leidet, wenn ein Gespräch von Nöten wäre? Hat dieser Mensch sich keine Gedanken darüber gemacht? Oder …
Das, was wirklich wichtig ist, bist DU !
Er spricht über Beziehungen, die wir zu anderen unterhalten und meint, dass wir sie in zwei Arten unterteilen können. Die alltäglichen gewöhnlichen Begegnungen, er nennt sie „Kreuzungen“, und die wichtigen tiefen Beziehungen, die intimen.
„Da gibt es die Alltagsbeziehungen ohne allzu grosses Engagement oder Bedeutung, die ich eher als „Kreuzungen“ als „Begegnungen“ nennen möchte: Der Weg eines Mannes und der einer Frau laufen immer weiter aufeinander zu, bis sie sich fast berühren; sie gehen eine Beziehung ein, aber bereits im Moment der Vereinigung beginnen sie, sich allmählich voneinander zu entfernen, bis sie sich aus den Augen verlieren. Sie haben sich gekreuzt ohne sich wirklich zu treffen.
Und da gibt es andere, intensivere und dauerhaftere Verbindungen. Zwei Wege, die sich einander annähern und eine Weile lang ein gewisses Stück parallel verlaufen. Diese Begegnungen, die, wenn sie gelingen, nicht nur tief, sondern auch innig sind, würde ich gern intime Verbindungen nennen. Ich sage immer, das Leben ist eine nichtkommerzielle, nüchterne Transaktion, in der man gibt und nimmt. Intimität hängt eng zusammen mit dem, was ich gebe, und dem, was ich empfange. Was manchmal schwer zu begreifen ist.
Die Welt ist voller Menschen, die nichts geben können und ständig etwas einfordern, aber auch voll von denen, die immer alles geben, ohne selbst je etwas nehmen zu können, weil sie glauben, mit ihrem Opfer zum Erhalt der Beziehung beizutragen. (Wenn sie wüssten, wie schrecklich es ist, jemand zur Seite zu haben, der es sich nie erlaubt zu nehmen, wären sie sicherlich erstaunt.)
Es ist eine Sache, nichts für das, was man gibt, zu verlangen, aber es ist eine andere, etwas nicht annehmen zu wollen, was man geschenkt bekommt, oder es zurückweisen, weil man meint, es nicht verdient zu haben. Tief im Innern kommen beim anderen Botschaften an wie „Was du gibst, reicht mir nicht“ oder „Du hast ja gar keine Ahnung“, Was von dir kommt ist wertlos“ oder „Deine Meinung interessiert mich nicht“.
Man muss wissen, welchen Schaden man anrichtet, wenn man sich systematisch weigert, etwas anzunehmen, das jemand anders einem von Herzen geben will.
Ein offener, nicht abreissender und grosszügiger Austausch bei wechselseitiger Hingabe ist der beste, wenn nicht der einzige Zugang zur Intimität.
Ich glaube nicht, dass jede Begegnung zur intimen Beziehung werden muss, aber ich bin der Auffassung, dass nur sie wirkliche Bedeutung hat auf dem Weg zu unserer persönlichen Selbstverwirklichung…
Wenn ich ehrlich bin, dann kommen nur diejenigen, denen ich wirklich nahe komme, in Betracht, in die Liste der Menschen aufgenommen zu werden, die meine Antwort sind auf die Frage:
„Wen wünsche ich mir als Begleiter, zumindest in diesem Moment meines Lebens?“ [….]Ich spreche nicht von Intimität als Synonym für Privatsphäre oder Sexualität, ich rede nicht vom Bett oder vom Partner, sondern von allen wichtigen, tiefgründigen Begegnungen. Ich rede von Beziehungen unter Freunden, Männern und Frauen, die in ihrer Innigkeit über den gegenwärtigen gemeinsamen Moment hinausreichen können.
Intime Beziehungen sind darauf aus, nicht an der Oberfläche zu verweilen, und dieses Streben nach Tiefe verleiht ihnen Stabilität, zu halten und die Zeit zu überdauern.
Eine intime Beziehung ist eine affektive Verbindung, die über das Gewöhnliche hinausgeht, denn sie beginnt in der stillen Übereinkunft, keine Angst vor dem Sich-Öffnen haben zu müssen, und mit der Zusicherung, sich ganz und gar als derjenige zeigen zu können, der man ist.
Das Wort Zusicherung kommt von „Sicherheit“ und gibt der Beziehung eine andere Tragweite. In einer zugesicherten Beziehung kann man sich auf das Gesagte verlassen, und man weiss von vornherein, dass man auf den anderen zählen kann.“ …
(Textauszug aus: „Drei Fragen: Wer bin ich? Wohin gehe ich? Und mit wem?“ von Jorge Bucay)
Dass man auf den anderen zählen kann … dass man sich beim anderen sicher fühlen kann. Was für eine schöne Vorstellung und was für ein schönes Gefühl, wenn es dann so ist.
Die unterste Stufe! … die Abhängigkeit von gewaltbereiten Machthungrigen, die Angst schüren!
„Ich versuche, dich in meiner Abhängigkeit zu behalten: Ich versuche, dir Angst einzujagen.
Angst davor, was ich tun oder mir antun könnte (in der Hoffnung, dass du wenigstens Schuldgefühle hast und dabei an mich denkst…).In etwa so wie Glenn Close, der im Film „Fatale Begierde“ zu Michael Douglas sagt: „Wenn ich dich nicht dazu bringen konnte, mich zu lieben oder zu brauchen, wenn du dich weder aus Mitgefühl noch aus Mitleid um mich kümmerst, wenn ich dich nicht mal dazu veranlassen kann, mich zu hassen, dann wirst du mich jetzt wohl oder übel zur Kenntnis nehmen müssen, denn ab sofort werde ich alles daransetzen, dass du Angst vor mir hast.“ […]
Was geschieht hier?
Halbwüchsige junge Leute, Minderheiten jeglicher Art, Randgruppen von überallher, sogar ganze Länder erfahren keinerlei Beachtung von auch nur irgendeiner Seite. Sie spüren oder wissen, dass niemand sie mag, sie braucht oder ihnen Aufmerksamkeit schenkt, niemand sich um ihre Leidensgeschichte schert … Früher oder später reift bei ihnen der Entschluss, auf die beschriebene Art und Weise wenigstens Hass auf sich zu ziehen, und sie beginnen, Angst um sich zu verbreiten. Sie haben gelernt, das die Angst, die sie rund um sich schüren, der einzig mögliche Ersatz für die fehlende Anerkennung ist, da ihnen Liebe nicht zuteil wurde. Ich möchte sie nicht in Schutz nehmen, kann aber nachvollziehen, warum es in unseren Grossstädten zunehmend von gewaltbereiten Gruppen wimmelt, die auf ihre Weise um Aufmerksamkeit ringen … Viele (alle, wenn nichts dagegen unternommen wird) werden später auf die schiefe Bahn geraten.
Jemand wird sie davon überzeugen, dass der einzige Weg zur Anerkennung über Macht führt.“
(aus Jorge Bucay – „Drei Fragen. Wer bin ich? Wohin gehe ich? Und mit wem?“)
Morgen sind hier und in anderen Bundesländern wieder Wahlen. Ich denke über diese drei Fragen nach. Und ich wünsche mir nur, dass die anderen Wähler sich ebenso diese Fragen stellen: Wer bin ich? Wohin gehe ich? Und mit wem?
Mit wem … wer wird überzeugen?