Wahrnehmen, annehmen und sonst nichts! Er kommt auf uns zu.

 

„Warum, fragen Sie jetzt vielleicht, erzählt er das alles? Antwort: Weil ich Sie dazu bringen möchte, gegen den Strich zu denken. Weil ich Ihnen vermitteln will, wie anders sich im griechischen Welterleben Sinn erschliesst. In dieser mythologischen Deutung der Welt schafft kein mächtiger Schöpfergott kraft seines guten Willens die Welt und garantiert damit ihre Sinnhaftigkeit. Nein, umgekehrt wird ein Schuh draus: Die alten Griechen machten die Erfahrung, dass ihnen inmitten dieser Welt ein unbedingtes „Ja!“ sieghaft entgegenjubelt. Und immer da, wo es ihnen begegnete, sagten sie „Gott“.

Nicht erschien ihnen die Welt sinnvoll, weil ein Gott sie gewollt und gemacht hat, sondern die Welt erschien ihnen voller Götter, weil sie sich ihnen in mannigfaltiger Gestalt als sinnvoll und bejahbar zeigte und in Göttergestalten offenbarte. Und so wären sie auch wohl nie auf die Idee gekommen, aus Selbstmächtigkeit oder eigenem Willen zur Macht Sinn erfinden zu können. Für sie war klar:

So wenig wir Menschen die Götter herbeizwingen können, so wenig können wir kraft unseres Wollens und Machens Sinn erzeugen oder erfinden. Sinn kommt auf uns zu. Und alles, was wir zu tun haben, ist ihn wahr- und annehmen.“

(Textauszug aus „Das große Ja: Ein philosophischer Wegweiser zum Sinn des Lebens von Christoph Quarch)

Was für ein wundervoller Gedanke, den ich bereits bei Viktor Frankl kennengelernt habe.

Christoph Quarch schreibt:

„Zu finden“, das ist wichtig. Frankl war der festen Überzeugung, dass es unmöglich ist, aus eigener Kraft seinem Leben einen Sinn zu geben. So sagt er ja auch, „von irgendwoher“ habe ihm das „Ja!“ entgegengejubelt. Es traf ihn, kam über ihn, überwältigte ihn beinahe. Das Ergebnis des Sinns hatte sich ihm weder als Einsicht infolge einer Argumentationskette erschlossen, noch hatte er es durch irgendeine Kunstfertigkeit und Methode erzeugt. Nein, ganz im Gegenteil: Es war plötzlich da, stand plötzlich vor ihm, enthüllte sich seinem Sinn im dämmernden bayrischen Morgen. Das ist bemerkenswert, denn es steht in scharfem Kontrast zu fast allem, was Sie in der zeitgenössischen Philosophie zum Thema „Sinn“ finden.“

Ja, das ist bemerkenswert und es macht mir grosse Freude, mehr zum Thema „Sinn“ zu erfahren, darüber zu lernen  …  dabei gegen den Strich zu denken. Ich lese in einem faszinierenden Buch und es ist sehr spannend, führt weit zurück in eine Zeit, in der man nicht den Lebenssinn suchte, weil man wusste: Sinn kommt auf uns zu! Und wir erkennen ihn am Licht, das er ausstrahlt und an dem Gefühl, dass alles stimmt – was wir gerade erfahren/erleben ist stimmig …

Das Buch ist wundervoll, inspirierend und gedankenanregend. Und die Begegnung mit den „alten Griechengöttern“, mit Sokrates, Platon & Co., mit Nietzsche und all den anderen „knurrigen“ Philosophen und sonstigen Besserwissern so richtig herzerfrischend. 🙂

 

 

Denk‘ gefälligst mit!

Ha, denkste! Zuerst sind mal die Emotionen da! Und danach wird eventuell gedacht. So läuft das ab und zwar nicht nur bei mir.

„Egal, ob wir aufmerksam sind oder nicht, erfassen wir emotional besetzte Reize. Anschließend haben wir die Möglichkeit, unsere Aufmerksamkeit und Gedanken auf diese Reize zu richten.“ (Antonio R. Damasio)

Haben wir die Möglichkeit, sagt er. Nur nützt die oft herzlich wenig, wenn ich jemandem wütig etwas an den Kopf geknallt habe. Bis mir das dann bewusst wird, ist der längst über alle Berge. Logisch, wenn er selbst sich dessen nicht bewusst ist, dass die Sache so abläuft: erst die Wut/oder eben eine andere Emotion und dann das Denken!

Trotzdem werde ich das Bewusst werden natürlich nicht versäumen … wenn auch etwas zeitverzögert. Schliesslich bin ich ja auch ständig bemüht, die Kunst des Lebens zu verfeinern 🙂

„Bewusstsein ist in der Tat der Schlüssel zum besichtigten Leben – ob wir es wollen oder nicht – unsere Lizenz, alles in Erfahrung zu bringen, was in uns vorgeht – den Hunger und den Durst, die Sexualität, die Tränen, das Lachen, die Hoch und Tiefs, den Strom der Vorstellung, den wir Denken nennen, die Gefühle, die Wörter, die Geschichten, die Überzeugungen, die Musik und die Poesie, das Glück und den Überschwang.
Auf seiner einfachsten und grundlegendsten Ebene vermittelt uns das Bewusstsein den unwiderstehlichen Drang, am Leben zu bleiben und ein Interesse am Selbst zu entwickeln. Auf einer sehr hohen und komplexen Ebene hilft uns das Bewusstsein, Interesse am Selbst anderer zu entwickeln und die Kunst des Lebens zu verfeinern.“

(Antonio R. Damasio, „Ich fühle, also bin ich“)