Das Kopfkissenbuch der Dame Sei Shonagon/Sei Shonagon

Aus ihrem „Kopfkissenbuch“ – Lebenskunst

In meinem Kopfkissenbuch schreibe und in ihrem lese ich – beides macht mir Freude 🙂

„Das Kopfkissenbuch der Dame Sei Shonagon ist eines der bedeutendsten literarischen Werke Japans, das noch heute – fast 1000 Jahre später – den Leser zu bezaubern vermag! Es ist eine Art Tagebuch und enthält Aufzeichnungen, die Sei Shonagon während ihrer Musestunden als Hofdame am Heian-Hofe niederschrieb.“, las ich zum Inhalt des Buches und nun halte ich es in meinen Händen und lese:

Lebenskunst

Die Menschen schätzen Teilnahme an ihren Geschicken höher ein als alles andere in der Welt. Das gilt vorwiegend von Männern, aber auch die Frauen möchte ich nicht ausnehmen.
Eine unfreundliche Bemerkung. selbst wenn sie ganz unabsichtlich gemacht wurde, wird man immer bedauern.
Was kostet uns es schon zu sagen:“Wie unglücklich ist das!“, wenn das Schicksal des Betreffenden wirklich unglücklich ist! Oder: „Ich kann mir denken, was der Arme durchmacht!“, wenn einer in einer schwierigen Lage ist. Noch wirkungsvoller ist es, sich einem Menschen gegenüber so zu äussern, von dem es der Betroffene dann aus erster Quelle erfährt.
Man sollte immer einen Weg finden, um die Leute wissen zu lassen, dass man sich um ihr Ergehen kümmert. Bei Verwandten, die liebevolle Teilnahme als ihr gutes Recht betrachten, ist es schwer, sich ein besonderes Verdienst zu erwerben, aber ein freundliches Wort, an jemanden gerichtet, der es nicht erwartet, hat schon oft Wunder gewirkt.
Diese Regeln sind so einfach und leicht zu fassen – und dennoch, wie wenige Menschen beherzigen sie!
Fast hat es den Anschein, dass liebenswürdige Männer und Frauen notwendig auch dumm, kluge dagegen immer misslaunisch sein müssen. Trotzdem, ich bin überzeugt, dass es eine Menge nette und gescheite Leute gibt. – man muss sie nur zu finden wissen.
Ein Antlitz, das man liebt, wird man immer wieder mit dem gleichen Entzücken betrachten.
Anders steht es mit Bildern. Haben wir sie zu oft in einem kurzen Zeitraum angesehen, so verlieren sie ihren Reiz. Das Bild auf dem Wandschirm neben unserem ständigen Platz werden wir nach einer gewissen Zeit nicht mehr eines Blickes würdigen, mag es noch so köstlich gemalt sein.
Oft geschieht es, dass wir an hässlichen Gegenständen, an einem Fächer etwa oder an einer Vase, irgendeine Einzelheit entdecken, die uns in ihrer verborgenen Schönheit rührt. Leider ist es unmöglich, ein menschliches Antlitz in dieser besonderen Weise zu betrachten. Es wirkt schön oder hässlich immer nur als Ganzes.“

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Über dieses Buch hatte ich bereits Folgendes geschrieben (es begegnete mir in einem anderen Buch):

Hier unterbreche ich beim Lesen!

Es ist mir wichtig, dieses nun mehrfach erwähnte Buch im Buch, das ich gerade lese, kennen zu lernen.
Ein ganz besonderes Buch soll es sein, von dessen Existenz ich bisher nicht wusste. Oder kennt hier etwa jemand das „Kopfkissenbuch der Sei Shonagon“?

Die Protagonistin des Buches, das ich gerade lese erzählt über das „Kopfkissenbuch“ – ich habe es mir schon bestellt, weil ich es so wunderschön und geheimnisvoll finde, was darüber gesagt wird.

Hier ein kleiner Textauszug:

„Diese Aufzeichnungen sind sehr konkret und präzise und offenbaren etwas von der starken Sinnlichkeit der schönen Hofdame, die sie geschrieben hat. Als ich ihre Texte las, stellte ich sie mir manchmal vor, wie sie am frühen Morgen in ihrem Zimmer sass, um das alles noch vor ihren täglichen Verpflichtungen zu notieren. Oder wie sie in tiefer Nacht erneut ihre kleine Stube aufsuchte, um etwas niederzuschreiben, das ihr tagsüber durch den Kopf gegangen war. Sie zog sich also für das Schreiben zurück, sie wollte allein sein, und sie war dann wohl auch mit ihren Gedanken und Gefühlen immer stärker allein. Während meiner Lektüre spürte ich dann, dass sich hinter diesem Alleinsein noch etwas anderes verbarg. Die schöne Schreiberin suchte nämlich nicht nur die Ruhe des Alleinseins, sondern sie sehnte sich auch nach etwas, ja, ich spürte, dass sie sich nach einem Geliebten sehnte, ja, genau danach sehnte sie sich, all ihr Denken und Empfinden kreiste letztlich um eine ferne, noch entrückte Gestalt, als wolle sie diese Gestalt durch ihr Schreiben herbeilocken. Nirgens sprach sie direkt von ihrer Sehnsucht, und nirgens malte sie sich detailliert aus, wie ein Zusammensein mit einem solchen Geliebten aussehen könnte, nein, soweit ging sie nicht. Sie ist scheu und zurückhaltend, und sie ist so vorsichtig und empfindlich, dass ihr ein direktes Beschreiben oder Ausmalen eines intimen Zusammenseins mit einem anderen Menschen viel zu plump vorkommen würde.

Nichts ausmalen, nichts festlegen, die Phantasie nicht beengen!

Stattdessen wartet sie, sie wartet am frühen Morgen und den späten Nächten darauf, dass sich etwas bewegt. Dort – das Blitzen eines Sonnenstrahls! Dort – der nächtliche Wind! Kündigen sie etwa das Kommen des Geliebten an? Ja, sie wecken die Vorstellung, sie erregen die Phantasie, und schon entstehen langsam die ersten Bilder.
Das alles erscheint mir in der Art und Weise, wie sie sich an die Liebe herantastet, wunderschön. Sie macht sich kein Bild von der Liebe, sondern sie lässt sie entstehen, sie weiss nicht von vornherein, wie sich eine Liebe abspielt, sie hält all diese weit vorauseilenden Ideen von sich fern und schreibt stattdessen minutiös auf, wo und wie sich ihr Verlangen nach Liebe zeigt.

– Das ist erstaunlich, antwortet Katharina, ich habe diese Aufzeichnungen ganz ähnlich gelesen wie Du. Das seltsame an ihnen ist, dass man zu Beginn der Lektüre gar nicht an das Thema Liebe denkt. Zunächst notiert die Hofdame ja viel über den Alltag, sehr genau, wie du sagst, und fast immer staunend und neugierig. Man fragt sich laufend, wie sie bloss auf das alles kommt, wie es sein kann, dass ihr so viel sonst Unbeachtetes auffällt und wie es ihr auf sehr schöne Weise gelingt, knapp und konzentriert zu schreiben. Dann aber, nach einiger Zeit der Lektüre, spürt man, dass sie das alles nicht nur vor sich hin flüstert, wie man es anfänglich noch glaubte. Sie flüstert es nicht ins Leere, nein, sie flüstert es nicht vor sich hin, sondern sie möchte gehört werden, ja, sie möchte, dass jemand ihr Flüstern hört und versteht. Und auf einmal begreift man noch mehr, denn man begreift, dass dieses Flüstern einen Geliebten herbeilocken soll und dass es ein magisches Flüstern ist, magisch, beschwörend, etwas in dieser Art.

– Genau, ganz genau, antwortete Jule. Und nun musst Du Dir vorstellen, was mit mir geschah, als ich das alles begriff. Ich spürte nämlich eine tiefe Verwandtschaft, ja, ich spürte plötzlich, dass ich – genau wie die schöne Schreiberin – auf nichts mehr wartete als auf das Erscheinen eines Geliebten. All meine Rückzugsbewegungen, all mein nächtliches Lesen und Wachbleiben – was war es denn anderes als ein Warten auf dieses Erscheinen? Und so begann ich, genau im Stil und Duktus der schönen Schreiberin, dies und das zu notieren und aufzuzeichnen: Alltägliches, das mir aufgefallen oder durch den Kopf gegangen war, möglichst knapp, möglichst konzentriert. Ich habe diese kleinen Texte vor mich hingeflüstert, wie meine grosse Lehrerin es getan hat, und ich habe mir dadurch wie meine Lehrerin mit der Zeit die Figur eines Geliebten geschaffen. [….]

Ja, ich habe von einem Geliebten gesprochen, aber es kam mir gar nicht wie eine Lüge vor. Schliesslich entwickelte sich in mir sogar die fixe Idee, wirklich einen Geliebten zu haben. Er war nur noch nicht erschienen, er war noch fern, aber es gab ihn bereits, oder anders gesagt, ich war dabei, in aus weiter Ferne in meine Nähe zu locken: durch meine Notizen, durch meine Aufzeichnungen, durch mein eigenes „Kopfkissenbuch““ (aus „Liebesnähe“/H. Ortheil)

Hmmm …. ein eigenes Kopfkissenbuch – eine schöne Idee!😀

Aber jetzt lese ich erstmal das „Kopfkissenbuch der Sei Shonagon“, sobald es bei mir eingetroffen ist und dann lese ich mein Buch „Liebesnähe“ von Hanns Ortheil zu Ende, um zu wissen, wie es ist, wenn der Geliebte der Protagonistin Jule dann tatsächlich erscheint.

Übrigens, das Buch von Ortheil beginnt mit einem sehr, sehr schönen Zitat:

„every word is like an unnecessary stain on silence …“ (Samuel Beckett)

… und hier noch der Link zum „Kopfkissenbuch der Sei Shonagon, falls dies jemanden interessiert:

http://www.amazon.de/Das-Kopfkissenbuch-Dame-Sei-Shonagon/dp/3865390951/ref=pd_cp_14_0

„Das Kopfkissenbuch der Dame Sei Shonagon ist eines der bedeutendsten literarischen Werke Japans, das noch heute – fast 1000 Jahre später – den Leser zu bezaubern vermag! Es ist eine Art Tagebuch und enthält Aufzeichnungen, die Sei Shonagon während ihrer Musestunden als Hofdame am Heian-Hofe niederschrieb. Sie berichtet darin Klatsch vom Kaiserhof, der viel zum Verständnis der Kultur jener Zeit beiträgt, und schildert das intime Leben und Treiben hinter den Bambusläden und Seidenvorhängen, mit all den lockeren erotischen Formen, die sich in der Hofwelt jener Zeit herausgebildet hatten. Die Heian-Zeit wird in köstlichen, farbenfrohen Miniaturen lebendig!“