Dieses Thema ist universell
Ich lese gerade ein Buch, dem ein Zitat des deutschen Dichters Ferdinand Freiligrath vorangestellt ist: „O lieb, solang du lieben kannst.“ … ich kannte dieses Gedicht bislang nicht.
Und das Buch:
Kyung-Sook Shin: „Als Mutter verschwand“
Eine Arbeitskollegin hat es mir ausgeliehen, weil sie der Meinung ist, ich müsse dieses Werk unbedingt lesen. Ein Roman, mitfühlend und wunderbar geschrieben, der zu unseren eigenen Wurzeln führt und der uns das universelle Wunder der Liebe neu begreifen lässt.
Nun habe ich damit begonnen und bin zunächst einmal erstaunt, dass eine südkoreanische Schriftstellerin ihrem Roman die Worte eines deutschen Dichters voranstellt. Dies muss ein besonderes Gedicht sein, dachte ich und wollte dies genauer wissen.
Freiligrath verfasste das Gedicht als Neunzehnjähriger! Und 1845 vertonte der ungarische Komponist Franz Liszt das Gedicht. Die Melodie des Liedes verwendete Liszt dann erneut in seinem 1850 veröffentlichten Liebestraum Nr.3. In dieser Fassung wurde sie zu einer von Liszts berühmtesten Melodien ….
Worte, die zu einem berühmten musikalischen Meisterwerk führen und die zu Tränen rühren, die musste ich mir nun zuerst mal anschauen. Hier also das Gedicht:
O lieb‘, solang du lieben kannst!
O lieb‘, solang du lieben kannst!
O lieb‘, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Und sorge, daß dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
Solang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt!
Und wer dir seine Brust erschließt,
O tu ihm, was du kannst, zulieb‘!
Und mach‘ ihm jede Stunde froh,
Und mach ihm keine Stunde trüb!
Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint, –
Der andre aber geht und klagt.
O lieb‘, solang du lieben kannst!
O lieb‘, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Dann kniest du nieder an der Gruft
Und birgst die Augen, trüb und naß,
– Sie sehn den andern nimmermehr –
Ins lange, feuchte Kirchhofsgras.
Und sprichst: O schau‘ auf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint!
Vergib, daß ich gekränkt dich hab‘!
O Gott, es war nicht bös gemeint!
Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, daß du ihn froh umfängst;
Der Mund, der oft dich küßte, spricht
Nie wieder: Ich vergab dir längst!
Er tat’s, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Träne fiel
Um dich und um dein herbes Wort –
Doch still – er ruht, er ist am Ziel!
O lieb‘, solang du lieben kannst!
O lieb‘, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
… ich denke, jetzt kann ich weiterlesen und werde die Worte von Kyung-Sook Shin verstehen.