Dshamilja … oder: Die schönste Liebesgeschichte der Welt

 

Kürzlich schrieb ich über den Schriftsteller Tschingis Aitmatow. Ich las das Buch „Der Richtplatz“ (hier: https://seelenglimmern.com/2017/06/12/die-woelfin-akbara/  und hier:  https://seelenglimmern.com/2017/06/13/lediglich-dem-menschen-ist-ein-anderes-los-bestimmt-erste-eindruecke-vom-buch/ ). Es hat mich fasziniert. Während meines Klinikaufenthaltes hatte ich nun Gelegenheit, mehr von ihm zu lesen. Nicht minder faszinierend finde ich seine Novelle „Dshamilja“ – seine „schönste Liebesgeschichte der Welt. “

Die verheiratete Dshamilja verliebt sich in Danijar, der still und verschlossen stets Außenseiter bleibt (heute würden wir sagen: ein komischer Kauz). Es geht um eine verbotene Liebe. Dshamilja bezeugt in diesem Roman, woran auch der Schriftsteller glauben möchte: „Das Gefühl der Liebe gehört zum Höchsten und Ewigen, das der Menschengeist an sich entdeckt, sie verfügt über die erstaunliche Eigenschaft, unter allen Bedingungen und Prüfungen zu überleben, sie bewahrt sich beständig ihre Anziehungskraft in der Sphäre der Kunst.“ (Textauszug)

Zum Inhalt: am Anfang der Geschichte nahm Dshamilja von Danijar keine Notiz und auch er schaute sie stets unfreundlich, doch gleichzeitig mit versteckter Bewunderung an. Doch dann setzte dieses „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ ein, das bereits Hesse so trefflich beschrieb.  Aitmatow beschreibt es in seiner Novelle nicht minder schön. Dshamilja bat eines Tages den stets wortkargen Danijar auf dem Weg durch die Steppe, ihr etwas vorzusingen. Zunächst verlegen und unsicher begann er tatsächlich zu singen … und hier setzt die Zauberkraft einer sehr betörenden Männerstimme ein – diese Stelle im Buch ist einfach hinreissend und mitreissend! :

doch allmählich gewann seine Stimme an Kraft, sie erfüllte die ganze Schlucht und hallte von den fernen Felsen wieder. Am meisten überraschte mich die Leidenschaft und die glühende Begeisterung, die aus der Melodie klangen. Ich wusste nicht, wie ich das nennen sollte, und ich weiss es auch heute noch nicht oder kann vielmehr nicht bestimmen, inwieweit das an der Stimme lag oder an etwas Wichtigerem, das unmittelbar aus dem Herzen quillt, das die Kraft hat, in anderen die gleiche Erregung auszulösen und die schlichtesten Worte mit Leben zu erfüllen. Wenn ich doch das Lied Danijars auch nur annähernd wiedergeben könnte! Es hatte fast keinen Text, ohne Worte öffnete es die ganze weite menschliche Seele.  [….]  Das war ein Mensch, der eine tiefe Liebe in sich trug.  [….]  er verwahrte diese Liebe in sich, in seine Musik, er lebte durch sie. Ein gleichgültiger Mensch hätte niemals so singen können.“ (Textauszug)

Diese Stimme und die wundersamen Melodien nahmen Dshamilja völlig gefangen. Sie fühlte sich in eine andere Welt versetzt und folgte mit geschlossenen Augen den bezaubernden  Bildern, die sein Gesang erzeugte. In ihr erwachte etwas Neues,  das Verlieben nahm seinen Lauf und veränderte sie.

„Nichts erinnerte mehr an das muntere, stets zu Scherzen aufgelegte Mädchen mit der spitzen Zunge. Ihre Augen schimmerten dunkler, ihr Blick war verschleiert, nach innen gekehrt. Wenn wir unterwegs waren, dachte sie immerfort angestrengt nach. Ein verträumtes Lächeln spielte um ihre Lippen, sie freute sich still über etwas Schönes, von dem nur sie allein wusste.“

In einer Buchbeschreibung las ich: „Entweder, man findet Aitmatows „Dshamilja“ kitschig, oder aber wunderschön. Ich tendiere zu letzterem, denn nicht nur die zaghaft gegen alle Widerstände aufkeimende Liebe, sondern auch die Steppenlandschaft, die eben so wichtig ist, wie jeder der Protagonisten, wird in ihrer unglaublichen Schönheit beschrieben. “ Dem kann ich voll und ganz zustimmen! Auch ich finde dieses Buch unglaublich schön und denke dabei an die Kraft der Musik, der Stimme, der Klänge und den Zauber, den diese auslösen können.

Zum Thema malte ich vor einiger Zeit ein Bild: Spiel mir ein Lied. 🙂

„Lediglich dem Menschen ist ein anderes Los bestimmt“ – erste Eindrücke vom Buch …

 

Tschingis Aitmatow – er ist kein Autor für amüsante Stunden, aber sein Schreibstil, seine Worte … sie sind so berührend wie diejenigen der ganz grossen Schriftsteller. Er schildert die endlosen Weiten der Savanne, deren Pflanzen- und Tierwelt, so ergreifend bildhaft, dass dies eine unglaubliche Faszination in mir auslöst.
Und dann das Leben der Wölfe, das „Verhältnis“ der Wölfin Akbara zu ihrem Wolf und ihren Welpen …. einfach bewunderungswürdig!
Vielleicht sagt ein kleiner Textauszug, was ich meine – Worte, so tiefsinnig und gedankenanregend. So aufregend, dass ich mich kaum von der Lektüre lösen kann. Dieses: „Und wie geht’s nun weiter?“ hat mich total vereinnahmt.

Die Szene: Die Wölfin Akbara liegt in der glühenden Sommerhitze träge mit ihrem Wolf auf einer Anhöhe. Ihre drei Welpen springen munter umher und erforschen ihre Umwelt. Eine grosse Herde Saigas (Antilopen) streift auf der Suche nach einer Wassertränke an ihnen vorbei:

„Im Blick Akbaras schimmerte ein Wissen durch – lass die Saigas jetzt nur davonziehen, es kommt der festgesetzte Tag, alles, was in der Savanne war, wird in der Savanne bleiben. Die Wolfsjungen hatten sich inzwischen darangemacht, den Vater zu belästigen, sie versuchten, den mürrischen Taschtschajnar aufzuscheuchen.
Akbara aber stellte sich plötzlich den Anfang des Winters vor, sah die grosse Halbwüste ganz in Weiss vor sich, jenen schönen Tag, da zur Morgendämmerung Neuschnee auf der Erde liegt, einen Tag oder einen halben Tag lang liegen bleibt, jene Stunde aber wird den Wölfen das Signal geben für die grosse Jagd. Und von dem Tag an wird die Jagd auf die Saigas die Hauptsache in ihrem Leben sein. Und dieser Tag wird anbrechen! Nebelschwaden in den Niederungen, frostiger Raureif auf dem traurigen weissen Tschij, auf den umgeknickten buschigen Tamarisken und diesige Sonne über der Savanne – die Wölfin stellte sich den Tag so deutlich vor, dass sie unwillkürlich erbebte, als wäre das alles bereits so, als hätte sie unverhofft die frostige Luft eingeatmet und würde bereits auf den federnden Pfotenpolstern geschlossen zu Blütensternbildern, dahintappen, auf verharschtem Schnee, und vollkommen deutlich konnte sie ihre stattlich ausgewachsenen Mutterspuren lesen und alle Spuren der Wolfsjungen. Bereits erwachsen wären sie dann, stünden fest auf den Beinen und zeigten schon ihre Neigungen, ihre Spuren würde sie selbst lesen und wiederum all das erkennen, gleich daneben den Abdruck der stärksten Pfoten – mächtige Blütenstände mit Krallen wie Schnäbeln, die aus Nestern herausragten, das wären die Pfoten Taschtschajnars, tiefer und kräftiger in den Schnee eingedrückt als all die anderen, weil er gesund ist und schwergewichtig an der Wamme, er ist die Kraft und das blitzschnelle Messer an den Kehlen der Antilopen, und jede eingeholte Saiga wird den weissen Schnee der Savanne schlagartig mit purpurrotem Blut tränken, wie ein Vogel – im Schwingen der heissen roten Flügel, um des einen Zweckes willen, damit anderes Blut lebe, verborgen in ihren grauen Fellen, denn ihr Blut lebte auf Kosten eines anderen Blutes; so war es vom Ursprung aller Anfänge vorgegeben, ein anderes Mittel gab es nicht, und da war niemand Richter, wie es auch weder Schuldlose noch Schuldige gab, Schuld hatte nur der, der das eine Blut schuf für das andere. (Lediglich dem Menschen ist ein anderes Los bestimmt, er beschafft sich sein Brot durch Arbeit, und durch Arbeit züchtet er sich Fleisch – er erschafft die Natur für sich selbst.)“
(Textauszug aus „Der Richtplatz“ von Tschingis Aitmatow)

Am Anfang des Romans schreibt er zunächst über die heile Welt der kasachischen Steppe und u.a. diese Worte: „ihnen (den Tieren) war noch weniger das Wissen eingegeben, dass alles, was in der menschlichen Gesellschaft gewöhnlich geworden ist, in sich die Quelle des Guten wie des Bösen … verbirgt. Und dass es ganz von den Menschen abhängt, wohin sie diese Kraft lenken.“ …  ein Kapitel, welches Emotionen anwachsen lässt!

 

Die Wölfin Akbara

 

„Mit „Die Richtstatt“ (1986) schließlich wird Aitmatow endgültig zum Propheten der Ökologie. In diesem äußerst komplexen Roman verschmilzt der Kampf der Wölfe um ihren bedrohten Lebensraum in der Savanne mit einer universellen Suche nach einem neuen Erlöser. „, lese ich über diesen Schriftsteller  ( https://www.welt.de/kultur/article2088313/Schriftsteller-Tschingis-Aitmatow-gestorben.html )

„Als die Wölfin Akbara und ihr Wolf Taschtschajnar ein letztes Mal vor dem schlimmsten Feind – dem Menschen – ausreißen, ahnen sie nicht, dass ihr Ende unausweichlich ist. Die Zeit der Wölfe und der Antilopen scheint abgelaufen. Denn wo immer der Mensch in das seit Urzeiten herrschende Gleichgewicht der Natur eingreift, wächst die Verwüstung des Lebens.

‚Ein großes Epos der Untergänge, ein kraftvoller Roman.‘ “  –  lese ich zum Buchinhalt … diesen Schriftsteller kenne ich noch nicht und werde dies sofort ändern – hier wird mir geholfen   🙂  :
https://www.amazon.de/dp/B01J4E31GW/ref=docs-os-doi_0

„Die Wölfe Akbara und Taschtschajnar erfahren – immer wieder in die Flucht getrieben – die gleichgültige Gier der Menschen und deren Raubbau an der Natur. Menschliche und tierische Dramen spitzen sich zu. Der Richter aller Dinge ist die Zeit…….. „, so in einem Kommentar.
 
Ich habe lange darüber nachgedacht, während ich malte – natürlich einen Wolf! –  und nun beginne ich mit dem Lesen  🙂