Keine Zeit für Träume, keine Zeit für die Zukunft!

 

„Während ich meinen letzten Eintrag zum Buch „Wer wir waren“ schrieb, erinnerte ich mich an Worte eines anderen Autors, Antoine Laurain, aus seinem Buch „Die Melodie meines Lebens“. Am meisten hat mich in diesem Buch das Schicksal von Pierre, dem Antiquitätenhändler, berührt. Auch für ihn drehte sich die Welt zu schnell.

In diesem Buch geht es ebenfalls um Datenfluss, Schnelllebigkeit und um die (Menschen-) Masse:
„Pierre, dessen Schaufensterarrangement immer raffiniert gewesen waren, hatte sich bei seinem letzten etwas Besonderes einfallen lassen. Mitten in der Nacht hatte sich der Antiquitätenhändler in die wundervolle Badewanne aus dem 18.Jahrhundert gelegt, die seit einigen Wochen im Schaufenster stand, und einen Cocktail aus Schlaftabletten genommen. Am nächsten Morgen erwartete die Passanten ein ergreifender Anblick: Die Badewanne war zur Hälfte mit einem weißen Laken bedeckt, Pierres Kopf, um den ein altertümlicher Badeturban gewickelt war, lag auf seiner rechten Schulter, seine rechte Hand, die den Boden berührte, hielt eine Schreibfeder, sein linker Arm lag auf dem Rand einer mit grünem Tuch bespannten Auflage, in der Hand ein Abschiedsbrief, den sein Bruder später auf der Beerdigung vorlesen würde. Pierre hatte bis ins kleinste Detail „Der Tod des Marat“, Davids berühmtes Gemälde nachgebildet.

Bildquelle Wikipedia – https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Tod_des_Marat 

„Das ist auf der Straße nicht ohne Wirkung geblieben, das muss man ihm lassen“, endete der Nachbar.
Seiner Meinung nach habe JBM seine Beziehungen spielen lassen, damit von diesem traurigen Spektakel nicht in den Zeitungen berichtet wurde, vor allem nicht im sensationslüsternen Parisien.“
[….]

In Roger Willemsen´s  „Wer wir waren“  las ich:
„Das Gefühl ist ein schlechter Ratgeber, sagen wir immer noch – als ob der gesunde Menschenverstand ein besserer wäre! – und stärken unser Immunsystem durch Bilder vom Schwund der Menschen, der ertrinkenden, zerbombten, ausgesetzten Menschen, die wir in keine Erzählung bringen, nicht weiterdenken, nicht weiter fühlen wollen.“

Menschen, die wir in keine Erzählung bringen, nicht weiterdenken, nicht weiter fühlen wollen!
Lediglich Sensationslust … nur ein oberflächliches kurzes Hinglotzen, das sogleich wieder von anderen Bildern überdeckt wird. Das Netz wird pausenlos damit gefüllt.

Und weiter in „Die Melodie meines Lebens“:
„Pierre, der in die Vergangenheit verliebte Antiquitätenhändler, den er damals für seine Bildung und die Anekdoten aus Frankreich bewundert hatte, hatte seinem Leben also ein Ende gesetzt. Zweifellos hatte ihn ein Bündel von privaten und beruflichen Problemen dazu getrieben, doch Alain fühlte, dass Pierres Ableben mehr bedeutete als eine private Tragödie. Die Art, wie er die Welt mit dieser pompösen Inszenierung verlassen hatte, hatte einen tieferen Sinn. „Ein Künstlerunfall“, hatte sein Nachbar gesagt. Pierres Tätigkeit war zu langsam – ein Beruf, bei dem man ganze Nachmittage verträumte, in Bildbände vertieft, während man auf den fachkundigen Kunden oder das Klingeln des Telefons wartete, war mit der heutigen Zeit nicht mehr vereinbar. Die Welt drehte sich schneller, alles musste mit Höchstgeschwindigkeit erledigt werden. Das Vergangene und die Kultur, die Pierre zur Ware gemacht hatte, fand heute immer weniger Resonanz. Wirklich, dachte Alain, während er seinen Rum trank, wer weiß denn heute, wer genau Ludwig XIII. war und was er vollbracht hat? Die Leute kennen Ludwig XIV. durch das Schloss und den Garten von Versailles, Ludwig XVI. weil er auf dem Schafott endete, und Napoleon wegen seines Hutes, seiner Kriege und der Verbannung nach St. Helena. Der Rest, das Politische wie das Kulturelle, war nur eine formlose Masse, aus der im Laufe der Zeit das heutige Frankreich hervorgegangen war und von der die Bürger nur eine ungefähre Ahnung hatten … „

Pierres Tätigkeit war zu langsam! Die Welt drehte sich schneller, alles musste mit Höchstgeschwindigkeit erledigt werden. Ein bisschen Ahnung reicht heutzutage wohl aus, an mehr ist die Masse offensichtlich nicht interessiert … hat keine Zeit dafür.

(Textauszüge aus „Die Melodie meines Lebens/ Antoine Laurain“  und  „Wer wir waren/Roger Willemsen“)

Beide Bücher haben mich sehr berührt und betroffen gemacht, in mir viele Gedanken ausgelöst  … Smartphone, Computer, TV – rauben sie uns tatsächlich zu viel Zeit für unsere Träume und unser Bewusstsein für eine lebenswerte Zukunft?
Nun, Roger Willemsen ruft dazu auf, umzudenken und zu handeln und Antoine Laurin erinnert in seinem Roman an Folgendes: „… dass wir tatsächlich alle aus demselben Material wie unsere Träume sind und dass es an uns selbst liegt, sie zu verwirklichen“.

Ignoti nulla curatio morbi …

… versuche nicht zu heilen, was du nicht verstehst!

Ein bedenkenswerter Rat des Buchautors Andrzej M. Lobaczewski, finde ich. Er hat sein Buch „Politische Ponerologie. Eine Wissenschaft über das Wesen des Bösen und ihre Anwendung für politische Zwecke.“ unter dieses Motto gestellt und es beschäftigt mich. Überhaupt beschäftigt mich das ganze Thema – gerade jetzt wieder vor den Wahlen.

Ich will mich nicht beklagen, es geht mir gut. Aber mir ist dennoch bewusst, dass ich nicht in einer „heilen Welt“ lebe. Alles was ich tun konnte und auch getan habe, war, auf ein „heiles Zuhause“ hinzuarbeiten  – ja, dafür zu arbeiten!!! –  in welchem ich mit meiner Familie zufrieden leben kann (für die ganze Welt hat es leider nicht gereicht). Dabei habe ich aber nie aus den Augen verloren, dass es auch das Andere gibt: das Böse in der Welt, die Bösen!

“Das Motto dieses Buches ist: Ignoti nulla curatio morbi (versuche nicht zu heilen, was du nicht verstehst). [….]
Die Kernaussage ist die, dass wir diesen gewaltigen, ansteckenden sozialen Krebs nur dann überwinden können, wenn wir seine Essenz und seine Ursachen verstehen. Dies würde das Mysterium dieses Phänomens als Hauptgrund für sein Überleben eliminieren. Ignoti nulla curatio morbi! (versuche nicht zu heilen, was du nicht verstehst) [….]
Gegen Ende des Buches werden wir besprechen, wie wir dieses Wissen so anwenden können, damit die richtigen politischen Entscheidungen getroffen werden können und die Welt einer umfassenden Therapie unterzogen werden kann.“ (Textauszug aus dem Buch)  [….]

Ponerologie (aus dem Griechischen poneros, „Böses“) beschreibt das Studium des Bösen. (Wikipedia)

Augustinus (von Hippo) unterschied zwei Formen des Bösen:
• Moralisch Böses – vorsätzlich von bösen Menschen begangen, im Wissen, dass sie Böses tun
• Natürlich Böses – Dinge die einfach geschehen, wie z. B. Naturgewalten und Seuchen

  • Der polnische Psychologe Andrzej M. Lobaczewski unterschied 1984 zusätzlich das makrosoziale Böse, das sich in einer Gesellschaft konstituieren und diese nahezu vollständig durchdringen kann. Dies geschieht in Form einer Pathokratie, d. h. einer psychopathischen Herrschaftsstruktur.  (Wikipedia)

„Ich weiss, dass ich nichts weiss“ … zumindest längst nicht genug. Und von Verstehen kann noch lange keine Rede sein. „Das Böse verstehen? Will ich das überhaupt?“, frage ich mich und „Warum?“.

„Gegen Ende des Buches werden wir besprechen, wie wir dieses Wissen so anwenden können, damit die richtigen politischen Entscheidungen getroffen werden können!“, stellt der Buchautor in Aussicht. Für mich ein Grund, dieses Buch zu lesen. Dieses Wissen schadet nicht und ist allemal ein paar Gedanken wert – gerade jetzt wieder vor den Wahlen.

Dass ich mich hier in meinem Blog ansonsten so gut wie nie über Politisches äussere, bedeutet nicht, dass mich Politik nicht interessiert. Ganz im Gegenteil, ich habe Enkelkinder, deren Zukunft mir sehr wichtig ist. Wer wird sie in dieser Zukunft beherrschen … führen und anleiten?

Mehr zum Buch habe ich hier gefunden:

https://de.sott.net/article/2014-Das-1×1-der-Ponerologie-Lobaczewski-und-die-Wurzeln-der-Politischen-Ponerologie