„Schon als der Direktor, Herr Cordia, ihn als unseren neuen Lehrer vorstellte, der nicht nur die wenigen verbleibenden Monate des zweiten Schuljahrs unser Klassenlehrer sein, sondern uns auch im nächsten Schuljahr begleiten sollte, wusste ich, dass ich – um mit Simon Vestdijk zu sprechen – „ihn liebte, wie ich noch nie zuvor jemand geliebt hatte“.
Augenblicklich lernte ich auch ein mir damals noch rätselhaftes Phänomen kennen: dass ich nämlich meine Liebe zu ihm nur äussern konnte, indem ich ihn quälte. Dass wahre Liebe gehässig ist und zum Quälen neigt, wurde mir erst viel später bewusst. [….]Dann fragte Herr Cordia: „Wer will nächstes Jahr zu mir in die sechste Klasse?“ Ohne auch nur einen Moment zu überlegen, zeige ich impulsiv auf. Wieder sehe ich, wie Herr Mollema plötzlich sein Gesicht schmerzhaft verzieht, wieder sehe ich ihn unter dem indonesischen Braun erbleichen, und während Herr Cordia meinen Namen notiert, will ich rufen: „Nein!Nein!Nein, ich will doch nicht, ich möchte bei Herrn Mollema bleiben, ich habe nur aufgezeigt,, um ihn zu ärgern, weil ich ihn nämlich mag.“ Aber es ist zu spät, es gibt kein zurück mehr, keine Möglichkeit, etwas ungeschehen zu machen,das ich für immer bereuen werde. [….]
Seit diesem Tag weiss ich, dass es nichts Heikleres gibt als die Liebe. Herrn Mollema habe ich geliebt, und dennoch habe ich sofort die Hand gehoben, als sich mir die Möglichkeit bot, unserem Zusammensein ein Ende zu bereiten. Warum? Was hat mich dazu gedrängt? Und warum habe ich es im nächsten Moment so tief bedauert?
Jedenfalls wurde ich dafür angemessen bestraft.“
(Textauszug aus „Das Paradies liegt hinter mir“ von Maarten ‚t Hart)
„Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.11.2014
Pünktlich zu Maarten t‘ Harts siebzigstem Geburtstag erscheint seine Autobiografie nun unter dem Titel „Das Paradies liegt hinter mir“ endlich auch auf Deutsch, freut sich Rezensent Oliver Jungen. Das bereits 1984 veröffentlichte Werk, dass den erfolgreichen Aufstieg des niederländischen Autors nachzeichnet, versammelt einen „bunten Anekdotenreigen“, informiert der Rezensent: Er erfährt hier, das t’Haart sich schon früh durch seine besonderen Begabungen auszeichnete, wenig Anschluss fand und bald begann, seine Einsamkeit zu stilisieren. Allerdings muss der Kritiker gestehen, dass dieses nahezu musikalisch komponierte Buch, das auch Einblicke in den Arbeitsprozess des Autors gewährt, ein wenig in die Jahre gekommen ist.“
Ich lese dieses Buch mit Freude und grossem Interesse – auch wenn dieses nahezu musikalisch komponierte Buch auch Einblicke in den Arbeitsprozess des Autors gewährt, ein wenig in die Jahre gekommen ist. 😉
So, und nun noch zu etwas anderem:
Wenn ich mit o.a. Buch durch bin, steht ein ganz anderes Thema auf meiner Urlaubs-Literatur-Liste:
Drei Philosophen – Svenja Flasspöhler, Robert Feustel und Jacques Derrida.
Diese Beschäftigen sich mit Begriffen wie Dekonstruktion, Verzeihen und die Kunst des Verschiebens.
Spannende Themen, wie ich finde. Aufmerksam wurde ich durch eine Sendung von 3sat:
http://www.srf.ch/sendungen/sternstunde-philosophie/moralische-schuld-und-die-kunst-des-verzeihens
Ich habe mich mit dieser Autorin etwas beschäftigt und auch einen Eintrag dazu bei „Nomadenseele“ gefunden:
Das Buch ist bei ihr nicht so gut davongekommen, doch einige Kommentare fand ich sehr interessant – besonders den von „RicardoR“:
„Da widerspreche ich aus zwei Gründen: Wer ein im weitesten Sinne als „philosophisch“ gekennzeichnetes Werk in die Hand nimmt, kann nicht erwarten, dass eine Autorin, die zu einer Frage wie Schuld/Vergebung/Verzeihung schreibt, dies ohne Rückbezug auf irgendwelche Klassiker vollbringen kann.„
Dem stimme ich voll zu und freue mich auf das Buch. Und ergänzend dazu lese ich Derrida und Feustel.
Danke auch hier für den spannenden Lesetipp. 🙂